Tylko Räume
Die Geschichte des modernen Wohnzimmers
Juni 21, 2021 | 6 min. lesen zum Thema
Zukunftsdenken, wardrobe, design
Bei der vielen Zeit, die wir momentan zu Hause verbringen, könnte man glatt glauben, dass unsere vier Wände lediglich dazu da sind, die Zeit zwischen Arbeit und Freizeit totzuschlagen. Und natürlich stehen unsere Wohnungen und Häuser für Vertrautheit und Gemütlichkeit, doch eigentlich repräsentieren sie so viel mehr. Denn nichts spiegelt den Wandel der Zeiten besser wider als unsere Einrichtung, und vor allem der Raum, in dem wir mit unseren Lieben zusammenkommen: das Wohnzimmer.
Die Renaissance des Wohnzimmers
Obwohl historisch gesehen viele Kulturen rund um den Globus ihre eigene Version eines gemeinschaftlichen Freizeitortes hatten, verweisen viele auf die Renaissance-Ära als Ursprung des modernen Wohnzimmers. In dieser Epoche, die viele Innovationen in Kunst und Kultur mit sich brachte, nahm Freizeit einen ganz neuen Platz ein. Wer seine Wohnräume vornehm und komfortabel einrichtete, wurde als aufgeklärt und gebildet wahrgenommen.
Die Bewegung verbreitete sich schnell in ganz Europa und hinterließ dort ihre Spuren in der Kultur. Trendsetter aus den europäischen Hauptstädten übernahmen die neue Lebensart als erstes – Königshäuser allen voran. Ludwig XV von Frankreich modernisierte beispielsweise das Schloss von Versailles, indem er Räume gestaltete, die einzig und allein für den Freizeitgebrauch und zur Entspannung gedacht waren. Dies stand auch im Gegensatz zur Formalität seiner Vorgänger. Während Prunk und Pracht natürlich erhalten blieben, war es dem Monarchen trotzdem wichtig, die rigide Formalität durch ein Leben voller Freizeit zu ersetzen – und sein Zuhause sollte dies widerspiegeln. Dieser Trend verbreitete sich schnell auf der ganzen Welt und eine neue Ära der Muße in den eigenen vier Wänden begann.
Weniger Arbeit, mehr Spaß
Natürlich waren diese Vergnügungspaläste einer kleinen Elite vorbehalten. Der Durchschnittsmann und die Durchschnittsfrau dieser Zeit lebten in deutlich anderen Umständen. Ihre Häuser und Wohnungen waren für praktische, häusliche Tätigkeiten da – sie waren ein Platz zum Essen und Schlafen, bevor ihre Bewohner zu harter körperlicher Arbeit zurückkehrten.
Die industrielle Revolution veränderte jedoch die Lebensumstände der gemeinen Bevölkerung. Arbeiter hatten plötzlich Zeit für Hobbys und Freizeitaktivitäten übrig. Das Wohnzimmer wurde so zum Ort, an dem Karten gespielt, gelesen und sich über den Tag ausgetauscht wurde.
Das Zeitalter des Radios
Springen wir zum 20. Jahrhundert, in dem wir die Anfänge des modernen Wohnzimmers, wie wir es heute kennen, erkennen können. Es war die Technik, die die Funktion dieses Zimmers veränderte und es von einem klassischen Raum in eine echte Unterhaltungsoase verwandelte.
In seinem goldenen Zeitalter der 30er- und 40er-Jahre fand das Radio als erste große technologische Entwicklung seinen Weg in unsere Zuhause. Es wurde stolz im Wohnzimmer aufgestellt und Familien versammelten sich darum, um die Nachrichten oder Unterhaltungsshows direkt bei sich zu Hause zu empfangen.
Die Geburt des modernen Wohnzimmers
Die Nachkriegszeit war von so mancher Veränderung in unseren Häusern und Wohnungen geprägt. Nachdem die Jahre der Entbehrung und des Krieges vorbei waren, sehnten sich die Menschen rund um den Globus nach Spaß und persönlicher Freiheit. Fabrik- und Büroarbeit verbreitete sich immer weiter, die Menschen hatten mehr Freizeit und das Zuhause wurde zu einem Ort für Hobbys und Entspannung.
Die Revolution des Wohnzimmers fand in den 50er-Jahren statt und wurde hauptsächlich durch eine Innovation ausgelöst, die die Welt verändern würde: der Fernseher. Zuerst noch ein Statussymbol wurde diese Erfindung in den 50er-Jahren immer verbreiteter, was bedeutete, dass Familien sich nicht nur im Kino um eine große Leinwand versammeln konnten, sondern dasselbe in ihren eigenen vier Wänden tun konnten – nur mit einem etwas kleineren Bildschirm.
Eine neue Lebensart
Im Laufe der 50er- und 60er-Jahre wurde das Wohnzimmer zum wichtigsten Raum. Denn in ihm versammelte sich Jung und Alt vor dem neuen, unglaublichen Gerät. Von der Mondlandung bis hin zum WM-Finale, wichtige Momente wurden direkt in die eigenen vier Wände übertragen. In Folge dessen musste natürlich auch der Raum und seine zugehörigen Möbel verändert werden.
Alles wurde nun in Richtung Flimmerkiste ausgerichtet. Sofas und Sessel wurden größer und bequemer, da die Menschen nun stundenlang vor dem Fernseher saßen. Da mehr Zeit im Wohnzimmer verbracht wurde, legte man auch mehr Wert auf seine Einrichtung. Das reichte von schicken Kissen bis hin zu weichen, gemütlichen Teppichen. Der Fernseher selbst war oft in einen hölzernen Schrank eingebaut, der so zu seiner eigenen Möbelkategorie wurde. Egal, ob sich die Hausbewohner für eine simple oder eine verschnörkelte Variante entschieden, der Fernseher und sein zugehöriger Schrank verwandelten das moderne Wohnzimmer schnell in den sozialen Mittelpunkt des Hauses.
Die Jahrzehnte verstrichen und der Fernseher war weiterhin der Mittelpunkt jedes Wohnzimmers. Während der technische Fortschritt sowohl zu Hause als auch draußen seinen Lauf nahm und Autos und Telefone immer kleiner wurden, entwickelte der Fernseher sich in entgegengesetzte Richtung und wurden immer größer und auffallender. Fernseher kamen nun auch nicht mehr mit ihrem übergroßen Holzschrank daher, weswegen der Fernsehtisch und die Fernsehbank in den 70er-Jahren immer populärer wurden. Möbel wurden nun extra so hergestellt, dass der überdimensionale Fernseher auf ihnen Platz finden würde.
Vom Wohnzimmer zum Ort der Heimunterhaltung
Die 80er-Jahre sahen einen erneuten technischen Fortschritt mit der Einführung des Gamings.
Gaming war zuvor sowohl für Kinder als auch Erwachsene etwas gewesen, das man nur aus Spielautomaten in Kinos oder Spielhallen kannte. Doch als Nintendo 1985 das 8-Bit Nintendo Entertainment System (NES) herausbrachte, konnte man sich plötzlich Spiele wie Super Mario und Sonic the Hedgehog direkt nach Hause holen. Diese Spielekonsolen konnten direkt mit dem Fernseher verbunden werden, was erneut Freunde und Familie ins Wohnzimmer lockte.
Das heutige Wohnzimmer
Mit der Zeit hat sich wenig an der Wohnzimmereinrichtung verändert. Fernseher und Fernsehtische werden immer größer, Gaming wurde Mainstream und Sofas zeigen weiterhin in Richtung Fernseher. Während diese Faktoren konstant geblieben sind, wurden dem Wohnzimmer im 20. Jahrhundert trotzdem ein paar Funktionen hinzugefügt. Immer mehr Menschen leben in Städten, in denen die Wohnräume oft kleiner sind und Wohnzimmer mehrere Aufgaben erfüllen müssen. Das Wohnzimmer ist heute nicht mehr nur ein Ort der Zusammenkunft, sondern auch ein Esszimmer, manchmal ein Gästezimmer und, in Zeiten des Arbeitens von zu Hause, auch für viele ein Homeoffice.
Wohngemeinschaften werden ebenfalls immer beliebter, weswegen Wohnzimmer oft den Ansprüchen mehrerer Bewohner gerecht werden müssen. Übermäßig persönliche Andenken, Familienfotos und -portraits werden daher immer seltener. Der neue Trend im Wohnzimmer lautet Minimalismus. So wirkt der Raum offen und jeder fühlt sich sofort willkommen. Auch Möbel sind heute eher simpel, modular, leicht, praktisch und einfach auseinandernehmbar geworden, damit seine BesitzerInnen sie schnell einpacken und zur nächsten Bleibe mitnehmen können.
Egal, was die Zukunft für das Wohnzimmer bereithält, eins ist sicher: Es wird der Mittelpunkt jedes Zuhauses bleiben, da wir Menschen uns nun mal von Natur aus danach sehnen, uns irgendwo zu versammeln.